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Anonymous
(Unregistered)
01/23/03 05:41 AM
145.254.228.53
Hesses Einstellung zum Krieg Reply to this post

Hallo,
ich arbeite gerade an einem Referat zu Hesses "Demian". Ich hielt Hesse eigentlich immer fér einen Pazifisten, der den Krieg
absolut negativ sieht. Aber bei der Lektére musste ich feststellen, dass Sinclair, mit dem sich Hesse ja auch identifizierte, den Krieg eher als Neubeginn sieht. Auch akzeptiert z.B. Demian Gewalt durchaus als Mittel. Wenn man sich dann Hesses ™uãerungen éber den Krieg ansieht, so verabscheut er den Krieg zwar durchaus, weist ihm aber auch einen moralischen Nutzen zu, wobei er z.B. meint " fér einen echten Kénstler, scheint mir, wird ein Volk von Mínnern
wertvoller, das dem Tod gegenébergestanden hat und die Unmittelbarkeit und Frische des Lagerlebens kennt. ..."
Fér mich ist es schwierig diese ™uãerungen unter einen Hut zu bringen, zumal mich seine Einstellung zu Krieg und Politik sehr interessiert. Aber vielleicht hat ja jemand eine Idee?



Lothar
(Unregistered)
01/29/03 01:12 PM
62.226.133.84
Re: Hesses Einstellung zum Krieg new [re: Anonymous]Reply to this post

Liebe/r Unbekannte/r,

das ist eine sehr ernste und wichtige Frage, die du da aufwirfst, vielleicht eine der wichtigsten éberhaupt im Zusammenhang mit Hermann Hesse! Marcel Reich-Raniciki hat u.a. wegen solcher kriegsverherrlichenden Aspekte den 'Demian' zu einem 'gefíhrlichen' Buch erklírt, wobei er bei diesem Urteil sicher auch von wissenschaftlicher Sekundírliteratur beeinflusst war, die diesen Komplex schon língst genauer untersucht hat. Leider kann ich mich im Moment nicht an die Namen der einschlígigen Autoren erinnern, aber du findest sicher einen guten Einstieg und Úberblick im Materialenband zum 'Demian', der im Suhrkamp-Verlag erschienen ist. Die Kritik geht dabei noch viel weiter, indem dem ganzen Buch eine Níhe zu faschistoidem Gedankengut vorgeworfen wird, wenn und insoweit es auch Féhrerprinzip, Recht des Stírkeren, mythologisch-irrationales Denken u.í. propagiere.

Ich traue mir jetzt nicht zu, eine abgewogene Darstellung der ganzen Problematik mit allem fér und wider zu improvisieren, daher alles folgende nur unter Vorbehalt. Ich ríume der Einfachheit halber mal ein, daã das Buch tatsíchlich fragwérdige Gedanken oder Passagen enthílt, aber die Hauptfragen, die dann zu klíren wíren, lauteten: 1. Welchen Stellenwert haben diese Passagen fér die Gesamtaussage des Buches? 2. Ist der Autor tatsíchlich - wie von dir unterstellt - in einer einfachen Weise mit seinem Helden Sinclair identifiziert? 3. Welchen Stellenwert hat der 'Demian' in Hesses Gesamtwerk fér das Problem seiner Position zu Gewalt, Krieg etc.

Zu 1.: Hier méãte man eine umfassende und systematische Interpretation des ganzen Buches leisten, was ich mir, wie angedeutet, im Moment nicht zutraue (und was ich auch kaum ohne Zugriff auf língst vorhandene Interpretationen unternehmen wérde). In meiner Erinnerung sind die problematischen Aspekte aber doch im wesentlichen gerade NICHT Gedanken von Sinclair sondern von Demian oder Pistorius, oder!? Das féhrt zu Frage 2.

Zu 2.: Der Einwand unter 1. ist insofern naiv, weil JEDE literarische Figur einen inneren Aspekt des Autors widerspiegelt, und alle gewissermassen 'Sprachrohre' wíren. Wichtiger daher also die grundsítzlichere Frage, inwieweit eine solche Sprachrohrfunktion tatsíchlich géltig ist, inwieweit literarische Figuren tatsíchlich 1:1 die wirkliche Meinung eines Autors widerspiegeln. Die Frage stellen heiãt sofort zu merken, wie kompliziert das Verhíltnis von Autor und Werk ist, insbesondere bei einem Autor von Rang wie Hermann Hesse. Es ist allein deshalb schon kompliziert, weil wir es mit literarischen Figuren zu tun haben, die einander widersprechen oder sich zueinander in schweren geistigen Spannungsverhíltnissen befinden. (Man denke etwa an die politisch-philosophischen Dispute in Thomas Manns 'Zauberberg', wo dieses dialogische Prinzip komplexer geistiger Positionen exemplarisch vorgeféhrt wird!)

Ich pers›nlich sehe es so, daã es eine Menge Hesse-Liebhaber gibt, die eine sentimentale und harmonisierende Sichtweise sowohl seines Werkes wie des Dichters selbst besitzen. Es gibt sehr viele Aspekte seiner Bécher wie seines Lebens, die eine solche Sichtweise durchaus rechtfertigen, aber fér mich wíre das immer nur eine einseitige Wahrnehmung. Fér mich hat Hermann Hesse genau deshalb tieferen Wert, weil er die Phínomene der Polaritít des Lebens sowohl eben in seinem Werk als auch in seinem Leben widerspiegelt und damit bewuãtseinsfíhig macht. Ein Pazifismus, der durch all' die damit in Verbindung stehenden inneren H›llen und Abgrénde gegangen ist, wie der von Hesse bzw. seiner literarischen Gestalten, hat daher fér mich auch einen viel gr›ãeren Stellenwert als der Pazifsmus all' der naiven Menschen, denen ich in meinem Leben zu Hunderten begegnet bin, die tatsíchlich kein Problem etwa mit der Formel 'Krieg dem Krieg' haben. Soll heiãen: es gibt unzíhlige von subjektiv gutglíubigen friedensliebenden Menschen, die noch nie auch nur fér eine Minute ihren inneren Haã, ihre verdríngten Aggressionen und ihre ganze wesensmíãige Unfriedlichkeit bemerkt geschweige denn problematisiert haben. Man betrachte etwa die linksradikale Autonomen- oder Antifa-Szene, die nie versteht, daã sie im Gebrauch unfriedlicher Mittel sich den bekímpften Inhalten anníhert und sie dadurch insgeheim níhrt, aber das Grundphínomen findet sich auch in vielen anderen Bereichen. (Die Debatte um den 'gerechten' Krieg bis hin zum US-Prísidenten, der sich tatsíchlich nicht scheut, von einem Kampf des Guten gegen das B›se zu reden!) Es ist die alte aber schwierige Sache der dialektischen Einheit von Form und Inhalt, und dem Problem, daã ein guter Zweck(=Inhalt) noch lange nicht jedes schlechte Mittel(=Form) heiligt.

Hermann Hesse féhrt in Leben und Werk das Prinzips des 'Schattens' vor Augen, wie es beispielsweise die Jungsche Psychologie versteht und von der sein gesamtes spíteres Werk und gerade auch der 'Demian' sowieso stark beeinflusst ist. Insofern es ihm im letzten und h›chsten um die mystische Einheit aller Dinge geht, die ekstatische Erfahrung der unio mystica, insofern muã natérlich das Problem von Dualismus und Polaritít, von Abspaltungen und Halbheiten, von oberflíchlichem Wesen und dunklen Tiefen, relevant werden. Daher das Ringen des Steppenwolfs mit 'Wolf' und 'Mensch', mit 'Natur' und 'Gott', daher die Polaritít von 'Klein und Wagner', von 'Narziã und Goldmund', daher aber auch und gerade die mythologische Figur von Abraxas im 'Demian'! Wenn Abraxas als die Einheit von Gut und B›se gekennzeichnet wird oder als die Synthese des G›ttlichen mit dem Teuflischen, dann ist es inhaltlich wohl zwangslíufig und konsequent, daã 'das B›se' auch substantiell vorgeféhrt und thematisiert wird. Die einfache Verteufelung des B›sen der 'friedliebenden' Menschen féhrt ja jedenfalls zu nichts (gutem), wie Geschichte und Gegenwart meines Erachtens hinlínglich beweisen.

Es ist genau dieses Ringen zwischen Gut und B›se sowohl seiner literarischen Gestalten wie in seinem realen Leben, wodurch Hermann Hesse zu einer Brécke werden kann zwischen dem naiven Dualismus des gutglíubig projizierenden Menschen, fér den die B›sen immer die anderen sind und einer Sichtweise, die den Blick in die Abgrénde der EIGENEN Seele erm›glicht als Voraussetzung fér einen ECHTEN Bewuãtseinsschritt. ('... und immer ist irgendwer der B›se im Land und dann kann man - als Guter! - und die Augen voll Sand, in die heiligen Kriege ziehn,' heiãt es in einem alten Song von Konstantin Wecker.)

Im Forum von hhesse.de haben wir gerade das Thema Selbstmord bei Hesse diskutiert, und daran kann man es auch nochmal erlíutern. Selbstmord hat sehr oft - aber natérlich nicht nur - mit verdríngten Aggressionen zu tun, die sich schlieãlich nach innen richten. All' die selbstm›rderischen Gestalten in den verschiedenen Hesse-Werken spiegeln daher sicher auch Haã- und Gewaltaspekte des Autors wider, wobei die dialektische Einheit von Gewaltphantasie und Suizidtendenz wahrscheinlich nirgends besser zum Ausdruck kommt als in 'Klein und Wagner'. Trotzdem scheint mir bei aller vorgeféhrten Negativitít doch die Gesamtsumme der literarischen Entwicklungen exemplarische Heilungsprozesse vorzuféhren, nicht nur im Steppenwolf, und es wíre sehr merkwérdig bis unfair wérde man entsprechende 'gewalttítige' Passagen aus dem tieferen Sinn- und Entwicklungszusammenhang reiãen und als 1:1 Aussage éber die wahre Position des Autors miãverstehen. Dieser tiefere Sinnzusammenhang kommt meines Erachtens am reinsten in dem Abschnitt 'Wunder der Steppenwolfdressur' im hinteren Teil des 'Steppenwolfs' zum Ausdruck. Wer will, k›nnte sogar das als Legitimation oder implizite Aufforderung (falsch) interpretieren, aber es wíre meines Erachtens eben eine Projektion, die viel mehr éber den Interpreten als den Interpretierten aussagte.

Jedoch: auch fér mich bleibt ein Rest problematisches, der letztlich mit Hesses Quellen und Inspirationen zu tun hat, die in diesem Fall vor allem mit dem Werk C.G.Jungs und mit dem Werk Nietzsches benannt sind. Ich las gerade letzte Woche nochmal in ganz anderem Zusammenhang das Nietzsche-Kapitel in Bertrand Russells 'Geschichte der abendlíndischen Philosophie', so daã mir dieser Aspekt in den von dir zitierten Passagen sofort ins Auge sprang. Hesses 'Zarathustras Wiederkehr' ist ja auch ungefíhr zur gleichen Zeit wie der Demian entstanden und méãte wohl fér eine genauere dementsprechende Beurteilung dann mit herangezogen werden. (Russell macht da ébrigens ein paar sch›ne sarkastische Bemerkungen gerade auch éber Nietzsches Haltung gegenéber den Frauen, die 'treffen' und die sich sofort auch auf dein Zitat auswirkten.) Die 'Schattenseiten' von Nietzsche und Jung wérden aber jetzt zu weit féhren, und auãerdem mich noch viel mehr éberfordern.

Zu 3.: Es gibt eine solch éberwíltigende Félle von Zeugnissen, literarischem Material und Bekenntnissen, die Hesse als Kriegsgegner und Pazifisten zeigen, daã selbst ein negatives Urteil éber den 'Demian' nur dazu féhren k›nnte, dieses Buch als 'Ausrutscher' o.í. zu kennzeichnen. (Eine komprimierte Úbersicht oder Einféhrung in diese éberwíltigende Félle findest du in den beiden Suhrkamp-Bínden 'Lektére fér Minuten', wo Hesse-Zitate zu verschiedenen Oberthemen aufgelistet sind, unter dem jeweils ersten Stichwort 'Politik'.) Eine negative Bewertung des Demian wérde sozusagen langen, um einen 'Schatten' auf Hesses Gesamtwerk wie seine Person zu werfen, aber es wérde nicht ausreichen, die generelle Einschítzung von Leben und Werk im wesentlichen zu veríndern. Wie oben schon angedeutet, fínde ich die Verfolgung des Themas 'Schattenarbeit' in einem tieferen Sinne aber fruchtbarer.

Ich hoffe, du kannst etwas damit anfangen, aber wie schon gesagt, alles nur unter Vorbehalt!

Gruã
Lothar

PS: 'Aber man kann doch nicht einfach hingehen und jemanden umbringen?' 'Unter Umstínden kann man auch das, ABER ES IST NUR MEISTENS EIN FEHLER!' heiãt es ja im 'Demian', aber was steckt natérlich alles an moralischem und spirituellem Problem in der unscheinbaren Wendung 'unterUmstínden'! Oder in dem Wort 'meistens'!! (Gar nicht mal an juristischem Problem, denn das Recht kennt Notwehr, verminderte Schuldzurechnungsfíhigkeit u.í.) Rechtfertigt Hesse an dieser Stelle Mord und Totschlag?? Ich glaube es nicht, aber ein radikaler Pazifist wérde natérlich schreiben, es ist IMMER ein Fehler - und wíre seinerseits der Erklírungsnot und Handlungsbegréndung angesichts extremster Gewaltphínomene in Geschichte und Gegenwart ausgesetzt. (Beispiel 20. Juli etc.)



Lothar
(Unregistered)
01/29/03 11:12 PM
62.226.132.117
Re: Hesses Einstellung zum Krieg new [re: Lothar]Reply to this post

PS 2: Bertrand Russells Standardwerk heiãt im Deutschen natérlich korrekt 'Philosophie des Abendlandes', wobei es keiner thematischen sondern eben einer historischen Gliederung folgt. Daher wohl auch der Originaltitel: 'A History of Western Philosophy'. L.



Anonymous
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02/05/03 05:56 AM
145.254.230.95
Re: Hesses Einstellung zum Krieg new [re: Lothar]Reply to this post

Lieber Lothar,
erstmal ein groães Dankesch›n fér deine wirklich umfassende Antwort. Wow!! Dass sich jemand dafér soviel Zeit nimmt und dabei auch noch so detailiert auf das Problem eingeht, hítte ich wirklich nicht gedacht.
Deshalb m›chte ich mir auch die entsprechende Zeit nehmen und deine Antwort in Ruhe durchlesen, um dann vielleicht noch einmal wegen ein paar Punkten nachzufragen, falls mir etwas unklar sein sollte. Ich wollte mich nur eben schnell bedanken, da zum jetzigen Zeitpunkt deine Antwort auch schon 6 Tage her ist.
Mein Referat ist zwar schon schon vorbei, aber das macht éberhaupt nichts, weil ich mich auch so fér Hesse sehr interessiere und dabei vor allem fér das angesprochene Problem. Also werde ich mir jetzt deine Antwort schnell ausdrucken und mich dann m›glichst schnell wieder melden!



Anonymous
(Unregistered)
02/13/03 07:11 AM
145.254.240.112
Re: Hesses Einstellung zum Krieg new [re: Anonymous]Reply to this post

Tut mir leid, dass es solange gedauert hat, aber Zeit ist leider nicht immer so vorhanden, wie man es gern hítte.
Es ist ja nicht so, dass ich behaupte Hesse ist mit Sinclair einfach gleichzusetzen. Vor einer solchen Identifikation des Autors mit seinem Helden wurde ich oft genug gewarnt und wérde sich auch nicht vollziehen. Aber gerade beim Demian, den Hesse ja auch unter dem Pseudonym Emil Sinclair herausgab und schon allein dadurch eine Verbindung herstellte, dríngt sich doch der Gedanke auf, dass Hesse sich zumindest ein groães Stéck weit mit seiner Figur identifiziert. So schreibt er zum Beispiel: ˚ Am liebsten gíbe ich jedes neue Werk unter einem neuen Pseudonym heraus. Ich bin ja nicht Hesse, sondern war Sinclair, war Klingsor, war Klein etc. und werde noch manches sein ...è Vielleicht deutet dieses ˚warè ja aber auch darauf hin, dass diese Figuren sozusagen ein Entwicklungsstadium des Autors darstellen, eine Rolle, die er zum Teil so erlebt hat und in die er, indem er sie literarisch verarbeitet, nun auch kurzzeitig schlépfen kann.
Die Aussagen, die im Demian zu Krieg und Gewalt gemacht werden, finden sich einmal bei Demian bzw. Pistorius und dann aber auch bei Sinclair selbst. Sinclair schreckt ja selber vor direkter Gewaltanwendung zuréck. Dies kann man bei der Deutung von der Kainsgeschichte durch Demian sehen oder als Demian zu Sinclair in Bezug auf Kromer meint: ˚ Wenn es gar nicht anders geht, dann schlage ihn tot! Es wérde mir imponieren und gefallen, wenn du es títest. (...) Obwohl Totschlagen das einfachste wíre. In solchen Dingen ist das Einfachste immer das Beste.è Sinclair dagegen will davon nichts wissen. Hier k›nnte man vielleicht eine gewisse Distanzierung ausmachen, obwohl Demian und die Lebensweise fér die er steht sonst als h›chstes Ziel und Vorbild angesehen wird. Aber den Krieg selbst nimmt Sinclair begeistert auf, fér ihn bedeutet er ja so eine Art Wiedergeburt, wíhrend er fér andere den direkten physischen Tod bedeutet. Mich pers›nlich st›rt dabei diese Glorifizierung des Schicksals, dieser Amor fati, wie er bei Nietzsche propagiert wird. Auch Hesses eigene ™uãerungen zum Krieg machen auf mich den Eindruck, als ob er zwar einerseits eine absolute Abneigung gegen Krieg und Gewalt hat, aber andererseits den Krieg als schicksalsgegeben bzw. als Erneuerungsprozess sieht, dem er durchaus eine positive moralische Wirkung beimiãt.
Fér mich ist der Demian insofern ein gefíhrliches Buch, indem er diese absolute Ausrichtung auf das eigene Schicksal propagiert. Das Erkennen der verschiedenen Gegensítze in einem selbst und die Auseinandersetzung mit dem eigenen Schatten ist ja gut und wichtig, aber es ist doch einen sehr gefíhrlicher Weg, wenn man sich in seinem Denken und Handeln nur an seinem eigenem Ich oder wie bei Jung an seinem Selbst orientiert und sein Schicksal darin sieht, diesem Ich m›glichst nahe zukommen. Woher will man denn wissen, ob das, was man verfolgt, wirklich dem eignem Innersten entspricht, oder ob es nicht wieder vielmehr durch bestimmte Wunschvorstellungen beeinflusst ist?
Aber es ist ja auch nicht n›tig, dass der Demian eine eindeutige Antwort liefert oder einen konkreten Weg aufzeigt. Wichtig ist nur ú und das macht fér mich ein gutes Buch aus - , dass er zum Denken anregt, indem er mehrere und zum Teil auch widerspréchliche Sichtweisen einer Sache aufzeigt. An das was man versteht, verschwendet man auch keinen weiteren Gedanken, nur die Dinge, die wir nicht verstehen oder an denen wir uns stoãen, bringen uns zum Nachdenken.




Christian
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02/17/03 06:06 AM
152.96.225.73
Re: Hesses Einstellung zum Krieg new [re: Anonymous]Reply to this post

ein interessantes thema.

ich habe von hesse nur mal den steppenwolf gelesen ohne irgendwelche interpretationen zu konsultieren. kann also sein das ich nicht viel schlaues schreibe :-).

etwas was mir geblieben ist sind die verschiedenen "personen" im menschen mit jeweils eigenen entwicklungsstadien. jenachdem von welcher "person" aus ein thema betrachtet wird kann die meinung daréber stark abweichen. nicht nur von der grundsítzlichen einstellung sondern auch wie weit die einstellung entwickelt ist.

desweiteren ist es wichtiger etwas zu tun als irgendwas bestimmtes zu tun. also wenn jemand etwas tut weil er selbst es so will tut er das richtige. wenn er aber das "richtige" tut was einer lehrmeinung oder moral entspricht ist es nicht richtig.

diese zwei aussagen kombiniert ergeben etwa, dass man seinem inneren schweinehund, seinem steppenwolf (oder was auch immer) freien lauff lassen soll. dies ist eine recht gefíhrliche aussage. im grunde entspricht es etwa der "ausgelutschten" weisheit das es weder gut noch b›se gibt... im ein wenig erweiterten sinne (so quasi alles ist erlaubt weil es keine wertung gibt).

was davon erhofft wird ist glaube ich, dass der mensch, wenn er sich selbst auslebt und sich selbst ist, irgendwann aus sich zBsp einen Pazifismus entwickeln kann und ihn nicht als lehrmeinung ébernehmen muss. Das dérfte dan ein echter Pazifismus sein.





Lothar
(Unregistered)
05/17/03 11:51 AM
62.226.139.156
Re: Hesses Einstellung zum Krieg new [re: Christian]Reply to this post

Liebe/r Unbekannte/r, lieber Christian,

noch ein spíter Nachtrag zu unserer Diskussion. Ich war vorletzte Woche bei einer Veranstaltung mit Marco Schickling, einem jungen Suhrkamp-Lektor, der die Úberschrift 'Hesses Schriften gegen den Krieg' trug und der sich vor allem auch auf die Zeit des ersten Weltkrieges konzentrierte, wíhrend dem der 'Demian' ja entstand. Der Referent stellte die politischen Schriften, Lebenszeugnisse und die biographische Entwicklung Hesses in dieser Zeit in den Mittelpunkt, so daã unsere Fragestellung nur am Rande gestreift wurde. Das war trotzdem sehr informativ und kenntnisreich, locker und souverín im Vortrag, so daã sich mir allerdings unser Ausgangsproblem nur um so schírfer ins Bewuãtsein dríngte. Daã ich 'das wichtigste' bei meinen obigen Postings wieder mal vergessen hatte - nímlich Hesses REALES Verhalten im ersten Weltkrieg, das von grundlegender Verweigerung geprígt war - war mir schon kurz darauf klar geworden, als ich mir die Grundzége seines Lebenslaufs in Erinnerung rief. Sogar den Zeitungsartikel 'O Freunde, nicht diese T›ne' hatte ich vor língerer Zeit schon einmal gelesen, in der er sich in einer Zeit der allgemeinen chauvinistischen Kriegsbegeisterung fér V›lkerverstíndigung und grenzéberschreitende Humanitít eingesetzt hatte. (Mir ist kérzlich erst aufgefallen, daã Hesse in der oben von mir erwíhnten Steppenwolfpassage diese Zeitungséberschrift und damit sich selbst in einer hochambivalenten Weise zitiert, wohl weil sie zum geflégelten Wort wurde und damit symbolischen Charakter erhílt!?) Das ganze Ausmaã seines Anschreibens gegen den Krieg, der ›ffentliche Skandal um seine Person und all' die Anfeindungen, denen er dadurch ausgesetzt war, sind mir aber erst durch diesen Vortrag in all' ihren Einzelheiten und Konsequenzen bewuãt geworden. Um so stírker réckt nun die Frage nach vorne: Wie kann DIESER Mann praktisch zur gleichen Zeit einen Roman wie den 'Demian' schreiben, der SOLCHE Passagen und grundlegenden Wendungen enthílt, wie sie weiter oben kritisch dargestellt wurden!!???

Angesichts der abgelaufenen weltpolitischen Ereignisse fiel es mir schwer, wíhrend der letzten Monate nicht des›fteren an die ganze Problematik zu denken. Ich habe zwar keine Zeit bzw. keine Muãe gefunden, den 'Demian' in der Zwischenzeit nochmal zu lesen, aber ich las ihn in der Vergangenheit mindestens dreimal und auf Basis dieser Textkenntnis sagt mir meine Intuition, daã du es im Kern inhaltlich v›llig richtig dargestellt hattest und nicht irgendwie aus dem Zusammenhang gerissen oder sonstwie verzerrend. Das wiegt ziemlich schwer, weil ich meine fréhere Vermutung, die problematischen Stellen seien vielleicht keine Gedanken von Sinclair nicht aufrechterhalten kann. Auch die Frage einer gewissen Identifikation von Hesse mit seiner Hauptfigur scheint mir in der Erinnerung nun doch v›llig klar zu sein, nicht nur wegen der von dir angeféhrten Argumente oder dem generellen autobiographischen Grundzug des Hesseschen Gesamtwerkes, bei dem eine éberspitzte Kritik ja moniert, er wérde IMMER nur éber sich selbst schreiben, sondern auch auf Grund eines natérlich schwer nachweisbaren positiven Geféhlstons in Bezug auf Sinclair, der sich mir tief in die Eingeweide eingegraben hat. Die Aussage etwa, daã ein Krieg zu einer Erneuerung féhren kann, scheint mir dabei an sich nicht skandal›s zu sein, wenn es sich um eine einfache analytische Feststellung handeln wérde, denn natérlich líãt sich - im nachhinein! - eine solche Wirkung unter Umstínden konstatieren. Das skandal›se besteht darin, einen solchen Effekt normativ zu predigen, zu verherrlichen oder ihn mit einer Ausschlieãlichkeit zu versehen, also ihn implizit oder explizit als alternativlos darzustellen. (Der alte Satz vom Krieg als Vater aller Dinge treibt diese Ausschlieãkeit letztlich auf die Spitze.) Úber die erzieherische Wirkung des Krieges auf die Mannes- oder Kénstlerehre gilt íhnliches, und ich finde solche Aussagen angesichts des realen physischen Todes von so vielen wie du unertríglich.

Je línger ich dréber nachdenke und jetzt auch noch angesichts dieses Vortrages desto weniger verstehe ich es, wie Hesse solche Gedanken wie von dir angeféhrt, hegen und literarisch verbreiten konnte, gerade insoweit sie eben in einem tendenziell unkritischen und identifikatorischen Sinne vorliegen. (Und es ist schon wichtig, welche Figur in welchem Kontext welche Positionen einnimmt, und wie sich die Handlung bzw. die Gesamtaussage eines Buchs insgesamt entwickelt, denn die bloãe Darstellung beispielsweise eines M›rders oder seines Denkens ist ja noch keine Legitimation des Mordes. Anderfalls wíre jeder Krimi gewaltlegitimierend.) Radikalpazifismus im Leben und tendenziell kriegsverherrlichende Passagen in einem zentralen literarischen Werk: ist das etwa eine Art moralischer oder geistiger Schizophrenie nach Art der Steppenwolfspaltung??? Vielleicht spiegelt sich in dem ganzen wirklich eine Art geistiger Konflikt zwischen verschiedenen Quellen und Traditionen, die ihn beeinflusst haben. Humanistische Tendenzen einerseits versus nihilistische und/oder esoterische Str›mungen andererseits. Auf einer noch tieferen Ebene kenne ich es als religi›se bzw. spirituelle Fragestellung, denn wenn man von einer eigenstíndigen und unsterblichen Natur der Seele ausgeht, die nicht get›tet werden k›nnte, dann hat der physische Tod, damit auch der Krieg, eine andere Bedeutung, als im Kontext eines weltlichen Humanismus, fér den es ja nur dieses eine Leben gibt. Da das Gesamtwerk von Hermann Hesse auch vom Reinkarnationsgedanken in verschiedener Spielart durchzogen ist - und man immer wieder auch auf Leute trifft, die Hesse in diesem Sinne auslegen - scheint dieses Argument nicht so weit hergeholt. Das ganze Problem wérde sich auf diese auãerliterarische Ebene verlagern, was es nicht gerade einfacher macht...

Ich habe vor ein paar Wochen noch etwas in der Sekundírliteratur geblíttert, insbesondere in Band 2 des Suhrkamp-Materialienbandes zum 'Demian', und nochmal festgestellt, daã unser Thema tatsíchlich breiten Raum in der Rezeptionsgeschichte einnimmt, wobei die verschiedenen Autoren je nach unterschiedlichem ideologisch-politischen Standort ihre kontroversen Einschítzungen formulieren. Insbesondere stieã ich auf den sachlichen Hinweis, daã Hesse am Anfang des Krieges unter dem starken Einfluã einer Schrift von Max Scheler stand, einem Mitbegrénder der sogenannten Philosophischen Anthropologie, in der wohl auch Gedanken éber die geistige und erzieherische Funktion des Krieges u.í. zum Ausdruck kommen. Schon ein Jahr spíter habe er sich davon aber wieder abgewandt, weil sich ihm diese Gedanken in der Realitít des wirklichen Krieges nicht bewíhrt hítten. Vielleicht reprísentiert der 'Demian' ja auch eine Art zeitversetztes Echo dieses Einflusses...

Schlieãlich haben wir in der sich an den erwíhnten Vortrag anschlieãenden Diskussion das Thema noch kurz diskutiert. Marco Schickling sah das Problem, fand die entsprechenden Passagen auch unglécklich, wie er den ganzen 'Demian' und insbesondere den Schluã wenig gelungen fand, wérde nur den Begriff 'kriegsverherrlichend' als etwas zu weitgehend zuréckweisen. Entscheidend sei wohl Hesses Beschíftigung mit der Psychologie C.G.Jungs gewesen, die ihn dazu 'verféhrt' hítte - das ist jetzt meine Formulierung - den Krieg als 'Symbol der Wandlung' zu benutzen. Ich fand den Beitrag eines ílteren und sehr kompetent wirkenden Herrn aus dem Publikum sehr interessant, der eindringlich darauf hinwies, daã im 'Demian' die Stimme des DICHTERS Hermann Hesse zum Ausdruck komme - im Unterschied etwa zur Stimme des Privatmannes oder politischen Publizisten - der auch ein Dichter der Jugendbewegung gewesen sei, die fér inhumane und militaristische Einflésse leider offen gewesen war. Das ist vielleicht keine Letzterklírung sondern nur eine Verlagerung des angedeuteten moralischen Zwiespaltes, aber als Beschreibung féhrt das doch ziemlich weit. Es kann vielleicht auch den ungeheuren Erfolg des 'Demian' erklíren, weil sich sensible Teile der nachhause kehrenden jéngeren Kriegsgenerationen in dem eigentémlichen Kosmos des Buches wiederfanden, ein Erfolg, der immerhin Hesses so bedeutende zweite Schaffensperiode einleitete und mitbegréndete, der wir seine gr›ãten Werke verdanken. Dieser Erfolg wíre vielleicht ohne die angedeuteten Schattenaspekte gar nicht m›glich gewesen wíre, weil sie an die Schattenseiten der Leserschar anknépften und dadurch Identifikationsflíchen aufspannten. Den ›fters verbreiteten Vorwurf einer faschistoiden Gesinnung des Buches kann ich allerdings in dieser zugespitzten Form nicht gelten lassen, denn wie ich auch in einem treffenden Beitrag des Materialienbandes las, ist Demian eine 'Féhrerfigur', die den Helden Sinclair gerade zum eigenen Herzen, zum Selbst, zur Individualitít féhren soll, also zum genauen Gegenteil der spíter aufkommenden faschistischen Unterwerfungsideologie.

Das alles wird mich noch lange beschíftigen und insbesondere meine níchste 'Demian'-Lektére beeinflussen, allein schon deshalb, weil ich dieses Buch im Unterschied zu Marco Schickling immer sehr geliebt habe. War ich deswegen vielleicht auf dem rechten Auge blind? Egal allerdings wie man die Qualitít des Buches generell einschítzt, denn ich finde die Wirkungsgeschichte, die Bedeutung und símtliche Implikationen von Hesses LITERARISCHEM Werk ungleich wichtiger als die der politischen Schriften oder Lebenszeugnisse von ihm, so interessant das fér die Aufhellung des biographischen Hintergrundes auch sein mag. Der 'Demian' wird weiterhin auf der ganzen Welt gelesen und wertgeschítzt, und auch seine Stellung als 'Neugeburt' der dichterischen Stimme innerhalb des Gesamtwerks im Kontext seiner schweren Lebenskrise wíhrend des ersten Weltkriegs scheint mir unabweisbar. Auãerdem werden verschiedene Grundthemen und gerade die auf Jung beruhenden Motive in allen spíteren Werken weiter verhandelt. Die Fragestellung 'Hermann Hesse und der Krieg' sollte daher primír anhand seiner groãen Romane, Kurzgeschichten und Gedichte untersucht werden, weil es eben die schriftstellerische oder dichterische Stimme von ihm ist, die weiter in die Gegenwart und Zukunft fortwirkt, wenngleich es natérlich Hesses Leben war, das den kreativen Spannungshintergrund fér sein literarisches Werk lieferte...

Gruã
Lothar

@ Christian: Der innere Schweinehund als 'Steppenwolf'?? Hm, eine witzige Assoziation und Formulierung, die nicht ganz unabweisbar ist, aber fér mich geht es im 'Steppenwolf' nicht um die bloãe Freisetzung der Triebhaftigkeit/Natérlichkeit (='Wolf') gegen die Zwínge der Kultur sondern um den Gegensatz an sich, die Frage der Dualitít oder der Polaritít und die M›glichkeit ihrer grundsítzlichen Úberwindung. Der Autor nimmt ganz klar eine Position ÚBER diesem Gegensatz ein und zeigt, wie die Hauptfigur mit den Polen ringt. Im eingeschobenen Traktat vom Steppenwolf ist das polare Grundmodell ja sogar noch unter Réckbezug auf ›stlich-indische Weisheitslehren ins Vielfache erweitert und wird die Spaltung in 'Wolf' und 'Mensch' einer immanenten und sp›ttischen Kritik unterzogen. Der Autor Hesse steht éber der Dualitít/Polaritít. Ob das auch fér den Menschen Hesse gilt - gar fér uns arme Leser - wíre eine andere Frage. Ist es nicht letztlich das Privileg der (groãen) Literatur, die Wahrheit fiktiv vorwegzunehmen und sie im geschétzten geistigen und kénstlerischen Raum im Sinne eines Probehandelns zu simulieren!? (Ein Gedanke von Dieter Wellershoff)

Im Grunde hast du eine bestimmte Generaltendenz bei ihm aber auf den Punkt gebracht: 'Sei du selbst' als credo, weil nur das zu einer authentischen Menschwerdung féhrt, die die Individuation voraussetzt. Ein Handeln dagegen aus reiner Konformitít kann nie ein authentisches sein, weil man keine Verantwortung fér das eigene Handeln ébernimmt.




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