Regenwetter
von
Hermann Hesse
Es will anfangen zu regnen, überm See hängt grau und ängstlich die schlaffe Luft. Ich gehe am Strand, in der Nähe meines Wirtshauses. Es gibt ein Regenwetter, das ist erfrischend und heiter. Das heutige ist nicht so. Die Feuchtigkeit fällt und steigt fortwährend in der dicken Luft, die Wolken lassen beständig fallen, und immer sind neue da. Unentschlossenheit und schlechte Laune herrscht am Himmel. Diesen Abend hatte ich mir viel schöner gedacht, Abendessen und Nachtlager in der Fischerkneipe, Gang am Strand, Bad im See, vielleicht Schwimmen im Mondlicht. Statt dessen läßt ein mißtrauischer und finsterer Himmel nervös und mißgestimmt seine launischen Regenschauer fallen, und ich schleiche nicht minder nervös und mißgestimmt durch die verwandelte Landschaft. Vielleicht habe ich gestern nacht zu viel Wein getrunken, oder zu wenig, oder ich habe von ängstlichen Dingen geträumt. Weiß Gott, was es ist. Die Laune ist zum Teufel, die Luft ist schlaff und peinigend, meine Gedanken sind finster, die Welt ist ohne Glanz. Heut Abend werde ich mir Fische backen lassen, und sehr viel roten Landwein dazu trinken. Wir werden schon wieder etwas Glanz in die Welt bringen und das Leben erträglicher finden. Wir stecken in der Kneipe ein Kaminfeuer an, daß man diesen faulen schlaffen Regen nimmer hört und sieht. Ich rauche die guten langen Brissago-Zigarren dazu, und halte das Weinglas gegens Feuer, daß es blutig karfunkelt. Wir werden es schon machen. Der Abend wird vergehen, ich werde schlafen können, morgen wird alles anders sein. Ins seichte Strandwasser klatschen Regentropfen, ein Wind wühlt kühlfeucht in den nassen Bäumen, sie blinken bleiern auf wie tote Fische. Der Teufel hat in die Suppe gespuckt. Nichts stimmt. Nichts klingt. Nichts freut und wärmt. Alles ist öd, trist, beschissen. Alle Saiten verstimmt. Alle Farben gefälscht. Ich weiß, warum es so ist. Es ist nicht ein Wein, den ich gestern getrunken, und ist nicht ein schlechtes Bett, in dem ich geschlafen, es ist auch nicht das Regenwetter. Es sind Teufel dagewesen und haben Saite um Saite in mir schrill verstimmt. Die Angst war wieder da, Angst aus Kinderträumen, aus Märchen, aus Schulknabenschicksalen. Die Angst, das Umschlossensein vom Unabänderlichen, die Melancholie, der Ekel. Wie fade schmeckt die Welt! Wie scheußlich, daß man morgen wieder aufstehen, wieder essen, wieder leben muß! Warum lebt man denn? Warum ist man so blödsinnig gutmütig? Warum liegt man nicht längst im See? Dagegen ist kein Kraut gewachsen. Du kannst nicht ein Vagabund und Künstler, und daneben auch noch ein Bürger und wohlanständiger Gesunder sein. Du willst den Rausch haben, so habe auch den Katzenjammer! Sagst du Ja zum Sonnenschein und den holden Phantasien, so sage auch Ja zum Schmutz und Ekel! Alles das ist in dir, Gold und Dreck, Lust und Pein, Kinderlachen und Todesangst. Sag Ja zu allem, drücke dich um nichts, suche nichts hinwegzulügen! Du bist kein Bürger, du bist auch kein Grieche, du bist nicht harmonisch und Herr deiner selbst, du bist ein Vogel im Sturm. Laß stürmen! Laß dich treiben! Wie viel hast du gelogen! Wie tausendmal hast du, auch in deinen Gedichten und Büchern, den Harmonischen und Weisen gespielt, den Glücklichen, den Abgeklärten! So haben sie im Krieg beim Angriff die Helden gespielt, während die Eingeweide zuckten! Herrgott, was für ein armer Aff und Spiegelfechter ist der Mensch - zumal der Künstler - zumal der Dichter - zumal ich! Ich werde mir Fische backen lassen, und werde den Nostrano aus dickem Glase trinken, und die langen Zigarren dazu qualmen, und ins Kaminfeuer spucken an meine Mutter denken, und aus meine Angst und Traurigkeit einen Tropfen Süßigkeit zu pressen suchen. Dann werde ich im schlechten Bett an dünner Wand liegen, Wind und Regen hören, mit dem Herzklopfen kämpfen, den Tod wünschen, den Tod fürchten, Gott anrufen. Bis es vorüber ist, bis die Verzweiflung müde wird, bis wieder etwas wie Schlaf und Trost mir winkt. So war es, als ich zwanzigjährig war, so ist es heute, so wird es weiter sein, bis es ein Ende hat. Immer wieder werde ich mein liebes, schönes Leben mit diesen Tagen bezahlen müssen. Immer wieder werden diese Tage und Nächte kommen, die Angst, der Ekel, die Verzweiflung. Und doch werde ich leben, und doch werde ich das Leben lieben. 0 wie schäbig und hämisch die Wolken an den Bergen hängen! Wie falsch und blechern spiegelt das fade Licht im See! Wie dumm und trostlos ist alles, was mir in den Sinn kommt!
*** |
Aus: Hermann Hesse "Wanderung", Alle Rechte bei Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M., 1977